BORDERLINE

Eigentlich hätte dieses Interview ein Aqua-Interview werden sollen, doch die rechtliche Lage gestattet es Marc Klinger und Boris Kleimeyer nicht, weiter unter diesem Namen Musik zu machen. Deshalb haben wir dieses Interview geschickt als Borderline-Interview getarnt. Mit Borderline haben Marc und Boris bereits im letzten Jahr auf dem mittlerweile dahingeschiedenen Discordia-Label die Maxi "Clouds Of Violation" herausgebracht, die bei allen, die sie zu Gehör bekamen, für Lob und Begeisterung sorgte. Ähnlich verhält es sich mit dem unter dem Namen Aqua veröffentlichten Album "Melancholy Is A Key To Consciousness": das Album, das auf dem Visage-Label erschien, ging etwas in der Flut von Synthie-Pop-Veröffentlichungen in diesem Jahr unter. Wer jedoch die Gelegenheit bekam, es sich einmal genauer anzuhören, war meistens doch sehr positiv überrascht. Ich traf mich noch kurz vor Redaktionsschluß mit Marc und Boris in der Super-Campus-Cafeteria der Universität Dortmund (da wir alle zu den Studenten dieser schönen Anstalt gehören), um mich mit ihm über das Debütalbum, einen möglichen Namen und die zukünftige Musik des Duos zu unterhalten.

 

Entry: Ihr habt ja mit "Barbie Girl" nicht nur einen Top Ten-Hit in Deutschland, sondern in der ganzen Welt gelandet. Wie fühlt man sich denn da?

Marc: Wir fühlen uns damit natürlich großartig...nee, im Ernst, es ist schon ein bißchen schade, daß das so gelaufen ist. Uns gibt es schon länger als diese Band, aber die haben den Namen wiederum von einer deutschen Esoterik-Band gekauft und insofern steht das Recht auf deren Seite. Der Name hätte zwar sehr gut zu unserer Musik gepaßt, da er den Fluß in unseren Songs sehr gut beschreibt, aber sei’s drum. Ich versuche aber die positive Seite zu sehen: wir können die nächste Platte so gestalten wie es uns paßt, ohne irgendwelchen Erwartungen an "Aqua" gerecht werden zu müssen, da wir das nächste Album wahrscheinlich unter einem ganz anderen Namen veröffentlichen werden. Der Unterschied zwischen dem letzten Album und dem nächsten wird aller Voraussicht nach nämlich so groß werden wie der zwischen dem Borderline-Material und der "Melancholy...".

Entry: Ihr dürftet dem gemeinen Entry-Leser (leider) noch nicht so geläufig sein, erzähl doch bitte mal etwas über Euch.

M.: Genau, wir hätten natürlich viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Aber Spaß beiseite, die Publikumsgröße ist uns im Endeffekt nicht so wichtig, solange die Leute die Sachen kaufen, die ihnen wirklich gefallen. Bisher haben wir fast nur positive Resonanzen bekommen und sind insofern auch ganz zufrieden mit der Platte. Ich habe jahrelang für mich selbst Musik gemacht und bin dann aber irgendwann zu dem Schluß gekommen, daß ich doch nicht so gut singen kann, und habe eine Anzeige, in der ich einen Sänger suchte, im ‘New Life’ geschaltet. Daraufhin hat sich dann halt Boris gemeldet, der die sagenhafte Qualifikation vorzuweisen hatte, daß er der einzige war, der sich auf die Anzeige gemeldet hatte. Aber Boris ist wirklich ein guter Sänger und wir arbeiten sehr gut zusammen. Ich schreibe die Musik, bin auch an den Texten beteiligt und Boris singt. Das ist die Bandgeschichte.

Entry: Woran liegt es Deiner Meinung nach, daß Ihr so etwas untergegangen seid? Ich denke, wenn das Label Euch etwas mehr gehypt hätte, wäre da doch einiges drin gewesen. Der Markt für synthetische Pop-Musik sieht zur Zeit ganz gut aus und da Ihr Euch dann noch von der grauen Masse abhebt, hätte die Platte meiner Meinung nach durchaus Hit-Potential zugetraut.

M.: Ich gehe jetzt mal davon aus, daß Du kommerzielles Potential nicht negativ bewertest (Auf keinen Fall, denn "Musik ist immer auch Geschäft", Anm. d. Verf.). Aber es ist natürlich verständlich, daß eine Plattenfirma, kein Geld in eine unbekannte, junge Band stecken will, wenn sie sich nicht sicher sein kann, daß dieses durch Verkaufszahlen wieder reingeholt wird. Wir hoffen, daß es beim Borderline-Album, das jetzt hoffentlich bald irgendwie erscheinen wird, anders läuft, denn wir trauen dem Album auch kommerziell einiges zu. Trotzdem ist es schwer, eine Plattenfirma zu finden, die zu solchen Experimenten bereit ist, wie wir es jetzt beim Borderline-Album vorhaben: es wird auf jeden Fall ein Ambient-Stück dabei sein, aber auch eine richtig schöne akustische Ballade mit Klavier, Streichern und unverzerrtem Gesang - ab und zu haben auch wir Anflüge von echtem Songwriting.

B.: Hinzu kommt, daß Visage ebenfalls ein junges Label ist, das auch noch im Aufbau begriffen ist, das einen dann auch nicht so gut unterstützen kann. Da muß man sich gegenseitig vielfach helfen und kann mit den großen Labels nicht so mithalten. Der Markt ist außerdem mittlerweile von so viele Produktionen, die vielfach einfach nur billig gemacht sind, überflutet, so daß die Käufer leicht abgeschreckt werden, neue Bands zu kaufen. Die meisten von denen sind nämlich nur schlechte Plagiate.

Entry: Wie würdest Du Eure Musik charakterisieren? Was ist das, was Eure Musik ausmacht?

M.: Das ist schwierig, aber vielleicht dies: weiche, fließende Klänge und angenehme, noch nicht gehörte Harmonien, d.h. ich ergehe mich nicht in irgendwelchen ausgelutschten Akkordfolgen, und Boris kann singen und klingt nicht nach "Mein Gott, ist das langweilig, ich muß den Song noch fertigbekommen". Es ist momentan auf dem Weg, eine angenehme Synthese zwischen schönen Melodien und merkwürdigen Geräuschen zu ergeben, also genau das, was ich eigentlich mag. Ich bemühe mich eigentlich die Sachen zu verbinden, die ich persönlich gerne höre.

Entry: Du hast mich mal gefragt, bei welchen Gelegenheiten ich Aqua höre, aber bei welchen Gelegeheiten machst Du denn die Musik?

M.: Die Frage kann ich leicht beantworten: immer, wenn ich Zeit habe. Ich habe eine zweigeschossige Wohnung und habe mir in der oberen mein kleines Studio eingerichtet und immer wenn ich Zeit bzw. Lust habe, setze ich mich hin, und mache ein bißchen Musik. Ob das dann ein Borderline-Song, Ambient oder irgendetwas House-mäßiges wird, stellt sich dann erst hinterher raus. Ich mache zumindest ständig Musik, denn es gibt so viel, was ich gerne machen würde, wofür ich aber ohnehin keine Zeit habe. Ich schreibe nicht etwa einen traurigen Song, wenn ich traurig bin, und einen fröhlichen, wenn ich gerade fröhlich bin, sondern ich schreibe Songs aus Spaß an der Musik, auch wenn das vielleicht etwas blöde klingt. Spätestens wenn ich eine achttaktige Sequenz habe, dann muß ich auch weitermachen. Das ist vielleicht vergleichbar mit einem 5000m-Läufer, der nach 400m noch genau in der Rekord-Zwischenzeit liegt. Trotzdem ist das auch das Stadium, in dem die meisten Ideen wieder verworfen werden, weil sie mich irgendwie völlig langweilen. Zumindest versuche ich die Musik zu machen, die ich gerne höre bzw. hören würde, aber nirgendwo auf dem Markt finde. Dabei kommt es mir besonders auf die richtige Mischung der Elemente an, da ich selbst Musik aus völlig verschieden Bereichen höre. Ich gehe auf keinen Fall an einen Song heran, um krampfhaft etwas neues und innovatives zu schaffen, egal wie disharmonisch oder scheiße es hinterher klingt, wie es ja mittlerweile Mode geworden ist, sondern wir machen das, was uns gefällt und was uns vor allem Spaß macht, schließlich haben wir uns nicht "Innovation" oder "Beste Band der Welt" auf die Fahne geschrieben.

Entry: Also ist das bei Euch schon diese typische Duo-Konstellation: Sänger und Musiker/Komponist?

M.: Im Prinzip schon. Ich mache die Musik, Boris arbeitet dazu das thematische Konzept und die Texte aus und an denen feile ich dann auch noch etwas mit.

B.: Bei mir ist es auch so, daß ich mir elektronische Musik eigentlich nur anhören kann, wenn sie auch wirklich hundertprozentig gemacht ist: und das ist bei Marcs Musik einfach der Fall. Von solcher Musik kann ich mich dann auch inspirieren lassen und kann Emotionen und Gedanken in Worte fassen. Dadurch, daß Marc ohne vorgefertigte Sounds auskommt und alles selbst austüftelt und ausarbeite, ist die Musik viel ehrlicher: da habe ich auch Lust, dazu zu singen.

Entry: Was wollt Ihr mit Eurer Musik erreichen, mal abgesehen vom eigenen Spaß?

M.: Das soll jetzt nicht irgendwie arrogant oder abgehoben klingen, aber die Meinung der Hörer ist für uns erstmal zweitrangig. Denn mit Kunst hat das Ganze nix mehr zu tun, wenn man es nur noch an einer bestimmten Zielgruppe orientiert. Wir machen die Musik, die uns gefällt, und wenn andere das ähnlich sehen, ist das natürlich schön. Man schämt sich nicht, wenn nach dem Konzert Menschen auf einen zukommen und sagen, daß sie es klasse fanden. Auf der anderen Seite ist uns natürlich auch bewußt, daß wir aufgrund der Tatsache, daß wir uns nicht am Hörer orientieren, nicht die große Hit-Band sind, das ist klar. Dafür nimmt man uns hoffentlich ab, daß unsere Musik sehr ehrlich ist. Mir ist in unseren Songs eine gewisse ästhetische Ausgewogenheit sehr wichtig, so daß alle Elemente ineinander greifen. Das könnte man auch als unser Konzept bezeichnen: die weichen und fließenden Strukturen.

B.: Auf der anderen Seite ist es aber auch etwas demotivierend, wenn die Hörer sich so sehr nach Trends richten und nur selten mal andere Sachen hören. Da zählt dann eine teure Produktion, oder ein namenhafter Produzent mehr als der Musiker und seine Musik an sich. Dann geht es vielfach nur noch um vermeintlich "coole" Äußerlichkeiten oder darum, daß ein Disco-Stampf-Rhythmus unter der Melodie liegt. Hätten wir einen Song wie "Touching The Ground" mit einem fetten Disco-Beat unterlegt, hätte es vielleicht auch in der Disco gespielt werden können, wenngleich die DJs ohnehin kaum unbekannte Bands spielen.

M.: Das ist so ein bißchen wie dieses Zitat, daß in einem Amt jede neue Sache so lange liegen bleibt, bis ihr eine ähnliche Sache vorausgegangen ist!

B.: Zur Zeit gibt es auch so einen Trend, daß Musik unheimlich hart sein muß, und wenige Leute bekennen sich dazu auch mal schöne Popmusik zu hören. Gerade wenn ich in Szene-Discos gehe, höre ich selten mal Musik, die mich nicht anstrengt, sondern bei der ich auch hinhören mag, weil sie angenehme Melodien hat.

Entry: Aber Ihr seid ja auch eine der Bands, die in so einer Nische existieren: zu kommerziell, möchte ich mal ganz gehässig sagen, für die Szene, aber natürlich viel zu sehr Underground für die Charts. Ist das eine Rolle, die ihr gerne übernehmt oder werdet Ihr versuchen, Euch davon zu lösen?

M.: Nein, wir fühlen uns darin eigentlich sehr wohl. Wir möchten schon Musik machen, mit der jeder zunächst etwas anfangen kann, weil sie schöne Melodien und Harmonien enhält - aber auf einer etwas abstrakteren Ebene, so daß er sich bei gewissen Sounds fragen müssen sollte, ob das denn überhaupt zusammen paßt, und dann - so hoffen wir - anschließend zu dem Schluß kommt, daß es zusammen paßt. Man sollte auch nach mehrmaligem Hören etwas in den Songs finden, was einem vorher noch nicht aufgefallen ist. Ansonsten werden wir mit Borderline vielseitiger werden: auf der einen Seite Breakbeats auf der anderen Ambient-Einflüsse. Es wird auch endlich mal ein 80er-Song dabei sein, nachdem man uns ständig vorgeworfen hat, wir würden 80er-Pop machen, dachten wir uns, wir müßten dieses Vorurteil einfach mal erfüllen. Aber insgesamt vermag ich nicht zu sagen, wo wir auch nur mit dem übernächsten Album landen werden.

Entry: Was hält Du denn von der Elektro-Szene derzeit, gibt es da Bereiche, die Dich besonders interessieren?

M.: Ich muß dazu sagen, daß ich absolut kein Szene-Mensch bin und mit der Szene nichts zu tun habe. Musikalisch ist der ganze EBM/Elektro-Bereich mittlerweile auch ziemlich tot. Nach den ganzen gescheiterten Innovationsversuchen, gibt es jetzt diese Back-To-The-Roots-Bewegung, aber das ist alles recht langweilig. die interessanten Dinge passieren seit vier oder fünf Jahren auch nicht mehr im Techno-Bereich, sondern mittlerweile im Ambient-, Jungle- oder Drum’n’Bass-Bereich mit Bands wie Aphex Twin, Photek oder Autechre. Aber sicherlich gibt es auch im Gruft/EBM-Sektor einige Bands, die uns schwer beeindruckt haben: z.B. Terminal Choice, mit denen wir mal ein Konzert gespielt haben, die haben es echt raus, Hut ab!

Hmm, wie hat der gute Marc, denn das wieder gemeint? Ich wünsche den beiden auf jeden Fall mit ihren zukünftigen Projekten (wie immer sie auch heißen mögen) viel Glück, Erfolg und vor allem mehr Beachtung; auf daß sie auf der Lücke zwischen OMD und Aphex Twin "aufsetzen"...

Z