PHILTRON

E.: Wie kommt man heutzutage dazu Synthie-Pop zu machen? Mehrere Ferienaufenthalte in Schweden? Oder sind das noch Reminiszenzen an die guten alten 80er?

P.: Daß wir heute vorwiegend Synthesizer benutzen kommt einerseits daher, daß uns diese Art der Technologie alle Freiheiten erlaubt und wir noch längst nicht die volle Bandbreite der darin enthaltenen Möglichkeiten ausgeschöpft haben. Andererseits muß man unseren musikalischen

Hintergrund sehen, die Zeit und die Szene, die uns am meisten geprägt hat. Jeder hat so eine Phase im Leben, die einen am längsten in Erinnerung bleibt. Bei uns sind das eben die Eighties! Das soll nun nicht heißen, wir wären hoffnungslos verlorene, alte 80er-Nostalgiker, weiß Gott nicht! Wir sind schon sehr interessiert daran, mitzubekommen was andere so machen, wie sich einzelne Musikrichtungen im Laufe der Zeit entwickeln etc. Schon allein dadurch, daß Sven u.a. als DJ arbeitet, haben wir ständig ein Auge auf den neuesten Releases der "Kollegen". Und so schlecht ist die Musik der 90er ja nun auch wieder nicht! Schade nur, daß die meiner Meinung nach wirklich guten aktuellen Bands nur superselten oder erst spät nachts im Radio zu hören sind (wenn überhaupt!). Man muß also schon selbst auf die Suche gehen...

E.: Als Ihr die "No Promises" und die "Philtropolis" veröffentlicht habt, gab es - wenn ich mich recht erinnere - recht kontroverse Reaktionen vor allem in den einschlägigen Fanzines. Es war oft etwas in der Art wie "Ganz nett, nix spannendes, wären ohne Candyland niemals bei einem Label unter Vertrag gekommen" zu hören. Fühlt Ihr Euch durch den breiten und anhaltenden Erfolg bestätigt bzw. rehabilitiert oder sind Euch die Reaktionen der Hörer eh nicht so wichtig?

Philtron P.: Zunächst einmal ist uns die Reaktion und Meinung des HÖRERS überhaupt nicht egal! Egal ist uns die Meinung der verschiedenen, von dir treffend als "einschlägig" bezeichneten Medien, obwohl wir bisher nun wirklich nicht unter ihnen haben leiden müssen. Eher im Gegenteil! Aber es kommt schon hin- und wieder vor, daß gewisse Veröffentlichungen einfach nicht sachlich geschrieben werden. Berechtigte Kritik geht wirklich in Ordnung, denn wohl kaum einer kann kritische Töne besser vertragen als wir (schließlich kritisieren wir uns auch gegenseitig sehr ausführlich!). Wenn wir mal einen Auftritt verhauen, wir die Texte vergessen, oder die halbe Anlage ausfällt und das dann jemand so schreibt, dann ist das okay, denn der Abend war dann eben wirklich nicht so prickelnd! Aber wenn jemand ein persönliches Problem mit uns hat, unser Management nicht mag oder irgendwas anderes und der dafür die Musik durch den Schmutz zieht, dann geht einem das natürlich nicht am Arsch vorbei. Also ist es besser, pauschal alles was geschrieben steht nicht gleich so ernst zu nehmen. Außerdem bleibt man auf dem Boden der Realität, wenn man nicht ständig was über sich in `ner Zeitung liest. Der beste Kritiker ist das Publikum. Dort kriegt man die Meinung der Leute haunah zu spüren, je nachdem wie die Show gelaufen ist. Außerdem hatten wir schon noch Kontakte mit einigen anderen Labels, nur mal so nebenbei... (wo Du das wohl aufgegabelt hast?)  

E.: Das neue Album "None" hat ja in den DACharts auch mächtig abgeräumt - seid Ihr selbst auch so zufrieden mit Eurem Werk?

P.: Nach 3 Monaten, in denen wir täglich bis tief in die Nacht Aufnahmen, Mixing und Mastering gemacht haben sind wir soweit sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Vielleicht wird der eine oder andere jetzt sagen, in drei Monaten mache er eine 1000mal bessere CD, aber wir stellen eben auch sehr hohe Anforderungen an uns selbst. Wir haben eine ziemlich genaue Vorstellung gehabt, wie das Resultat sound- und arrangementmäßig klingen sollte, und wenn da eine Sache unserer Meinung nach nicht gut genug war haben wir kurzerhand die Arbeit der letzten zwei Nächte in den Müll gehauen und von vorne begonnen. Irgendwie hat die None einen ganz besonderen Stellenwert für uns, denn jeder von uns hat während dieser Zeit kaum was anderes gemacht, als an der None rumzubasteln und auch alle andere verfügbare Kraft dareinzustecken. Zum Beispiel Janne, der Arme, bekam während der Aufnahmen einen Allergie-Anfall und mußte mit juckenden Pusteln am ganzen Körper seine Songs einsingen. Heute lachen wir uns darüber schlapp, aber es war zu der Zeit eine echte Quälerei, schon alleine ihm dabei zusehen zu müssen tat weh! Sven beschrieb das Arbeiten an einer CD mal wie eine Schwangerschaft: Man hat verschiedene Stücke, die packt man zusammen, zieht sie groß, und wenn sie auf dem Markt... pardon!...der Welt sind schaut man ihrer weiteren Entwicklung zu, ohne daß man noch großen Einfluß darauf hat.

E.: Wo seht Ihr selbst die Veränderungen zum Vorgängeralbum? Wie habt Ihr Euch selbst in der Zwischenzeit verändert?

P.: Unsere größte Weiterentwicklung (oder nenn es Veränderung), meine ich, haben wir auf dem Sound-Gebiet gemacht. Ich finde den Grundsound der None z.B. besser als auf der Philtropolis, irgendwie klarer und wärmer. Ein Zustand, dem wir Jannes feinen Fingerchen an den Mischpult-Fadern zu verdanken haben. Er hat sich, wenn Sven und ich schon längst Zuhause waren, häufig noch mal hingesetzt, um die einzelnen Abmischungen aufeinander abzustimmen. Das wäre z.B. so eine Sache, für die wir bei der Philtropolis kaum noch Zeit hatten, denn damals mußten wir uns noch ein Studio mieten und so mußte alles zack-zack gehen. Dazu kommt noch, daß wir für die None viel mehr Wert auf die Verknüpfung von Musik und Lyrics gelegt haben. Auf der Philtropolis haben wir noch Musik und Text getrennt geschrieben das dann zusammengebracht. Diesmal haben wir aber die Stimmung eines entstehenden Songs in Worte übertragen, dann die Gesangsmelodie auf dieser Grundbasis entwickelt und danach erst die Musik fertiggestellt. So kann man wesentlich songorientierter arbeiten, als wenn man einfach das eine über das andere legt.

E.: Diese Frage muß ja irgendwann kommen, deshalb stelle ich sie gleich jetzt: Warum habt Ihr mit "Nowhere Girl" gerade einen solchen "Szene-Hit" gecovert?

P.: Warum eigentlich nicht? Seien wir mal ehrlich: es bringt doch wenig, ein Stück zu covern, welches wirklich niemand kennt, oder nicht? Diese ganze Diskussion über Pro und Kontra des Coverns in den Magazinen ist doch echt für´n Arsch! Warum regen sich die Leute eigentlich auf? Gecovert wurde immer und in jeder Musikrichtung. So neu ist das nicht, zumal wir ja sowieso im Zeitalter des Recyclings leben. Warum sollte man also nicht hin- und wieder mal was schön kultiges, altes ausgraben und es vielleicht sogar besser als das Original klingen lassen (Beispiele gibt's genug)? Manchmal habe ich sowieso das Gefühl, bestimmte Leute wollen gar nichts neues oder innovatives hören. Die Charts sind voll von Coverversionen, ganze Strophen von alten Songs werden als Samples unter Hip-Hop gelegt etc. etc... Also ist diese ganze Diskussion echt mega-überflüssig. Philtron

Denkt jetzt bitte nicht, wir hätten Nowhere Girl gecovert, um auf dieser Cover-Welle mitzuschwimmen. Wir machen einfach unser Ding, nehmen uns einen für uns hochheiligen Kult-Song und interpretieren ihn mit unseren Stilmitteln neu. Das war mit "Cruel Summer" von Bananarama und "A Forest" von Cure genauso. Uns ist egal, wenn sich da jemand drüber aufregt. Also, seid gewarnt: WIR COVERN GNADENLOS WEITER!!!

Zu Nowhere Girl muß ich auch noch sagen, daß ich den Song zwar von früher her noch gut kannte, aber überrascht hat mich schon, wieviele Leute den sonst noch kennen. Scheint ja doch mehr als nur der Szene-Geheimtip der letzten 15 Jahre gewesen zu sein.

E.: Hat man als "Star" bzw. Person, die zumindest irgendwie im öffentlichen Leben steht, eine größere Verantwortung , da man mit seinen Meinungen und Äußerungen viele andere beeinflussen kann?

P.: Tja, gute Frage! Natürlich hat man sowas wie ´ne gewisse Verantwortung, aber es kommt drauf an, welcher Art die Beeinflussung ist und ob sie gezielt eingesetzt wird oder eher ein sekundärer Effekt aus deinem Tun und Handeln ist. Ob ich nun über Musik rede oder über Religion, ist, finde ich, schon was anderes. Aber ich denke, daß egal, was ich sage, die Zuschauer/Leser/Hörer sich schon ihre eigene Meinung bilden können. Da haben es die sogenannten Teenie-Bands es schon etwas schwerer im Bezug auf das, was sie wo und wie sagen. Wenn die nämlich sagen, welche Unterwäsche sie tragen oder sowas, dann rennt doch die ganze Fangemeinde los und kauft die Läden leer, ganz gleich wie unnütz oder sinnlos der Kram. Ich würde das wahrscheinlich ziemlich merkwürdig finden... Wir wollen auf keinen Fall die Leute bekehren, missionieren oder zu irgendwas überreden. Uns ist viel wichtiger, daß man an unserer Musik Spaß haben kann und wenn man das gemeinsam auf ´nem Philtron-Konzert tun kann, umso besser.

E.: Eure Texte sind nun eher unpolitisch. Ist Politik denn ein Thema, für das Ihr Euch privat interessiert? Was sagt Ihr denn zu der politischen Situation in Hamburg, da gab es ja vor kurzem bei der Landtagswahl einigen Wirbel, speziell um die "innere Sicherheit"?

Philtron

P.: Wie schon eben durchscheinen konnte, halten wir solche Sachen wie Politik aus unserer Musik raus. Es gibt andere Themen, mit denen man sich tiefgehender befassen kann als das. Über Politik singen können andere besser, auch wenn ich mir nicht immer sicher bin, ob das nicht Teil der Marketing-Strategie ist oder ob dahinter wirkliches soziales Engagement steht. Irische Bands z.B. verkaufen sich eben besser, wenn sie vom Bürgerkrieg singen...

E.: Die Bärte, die Eure Wangen auf dem "None"-Cover zieren, erinnern mich ein wenig an einen farbigen US-Musiker...Ihr schreibt Euch jetzt aber nicht bald auch noch "Slave" auf die Wange und seid böse auf die Jungs von Candyland?

P.: Häää? Wir drei=ein farbiger US-Musiker? Wie geht das denn? Das mußt Du mir noch mal erklären... Übrigens werden wir uns in Zukunft nur noch T.A.F.K.A.P nennen (the artists formerly known as Philtron)! Aber das wäre jetzt wohl zu SYMBOLisch, oder?

E.: Nee, im Ernst, wie ist es denn so bei den großen Pitchies auf dem Label? Kommt man sich da nicht manchmal wie die zweite Geige vor? Oder wird man besonders gut promoted, weil nur so wenige Bands auf Candyland sind?

P.: Zweite Geige?? Nee, das nun wirklich nicht! Schließlich sind wir die einzige Band auf Candyland, da ja selbst Project Pitchfork jetzt bei einem anderen Label sind. (Anm.: Huch, das wußte ich ja noch gar nicht...) Das heißt, wir genießen sowas wie die ungeteilte Aufmerksamkeit von Candyland. Etwas, was sich eine Band nur wünschen kann. Candyland hat uns schon von Anfang an echt cool unterstützt, als noch die ganzen anderen Bands mit dabei waren, aber jetzt könnte es nicht besser sein! Daß wir die Pitchies ja schon etwas länger kannten war auch einer der Gründe, warum wir uns mit Candyland so schnell einigen konnten. Der persönliche Kontakt mit "den Verantwortlichen" ist superwichtig, denn nur so kann man gemeinsame Pläne besser organisieren und durchführen.

E.: Auf dem Cover der neuen Platte ist ja ein ganz schnuckeliges Reptil zu sehen. Wem von Euch gehört denn das kuschelige Haustier?

P.: Keinem! Diese Eidechse hatte Janne irgendwo in Finnland fotografiert. Anfangs hatten wir ja vor, einen Käfer des gleichen Formats aufs Cover zu nehmen, aber der sah uns zu sehr nach der Prodigy-Ameise aus. Also weg damit! Deshalb die Eidechse... (bei einer CD-Verlosung sollten sich die Zuschauer einen Namen für das Vieh überlegen: irgendwer sagte mir dann noch das Reptil hieße jetzt SODOM... Tja, was soll man davon halten?)Wer uns kennt weiß, daß wir ganz gerne mal kleine unerwartete Überraschungen/Geräusche/Soundeindrücke in die Musik einbauen, da war’s für uns auch nur konsequent, was eher Unübliches auch aufs Cover zu packen...

E.: Ihr geht ja im Dezember auf Tour, was erwartet den geneigten Zuschauer denn da? Mit wem geht Ihr auf Tour und was habt Ihr für die Bühnenshow vorbereitet?

P.: Für die Tour planen wir eine kleine Aufstockung des "Personals". Wir haben vor, mit einem weiteren Keyboarder und eventuell sogar einem richtigen Schlagzeuger zu touren. Wir müssen nur sehen, ob die beiden Zeit hätten, überallhin mitzukommen. Weiter wollen wir uns Licht-und Bühnendekomäßig noch was überlegen, ist aber noch zu früh, darüber etwas konkretes zu sagen.

E.: Da Ihr ja erst noch auf Tour geht, läßt sich die Frage nach dem Live-Act ’97 noch nicht endgültig beantworten, aber welches war(en) die beste(n) Band(s), die Ihr dieses Jahr gesehen habt?

Rico: (Danke für die Blumen!) The Cure, live in Kiel November 1996 (geilstes Konzert aller Zeiten, vor nur ca. 4000 Zuschauern eine Privat-Show mit Ausflug bis ganz zu den Anfängen), seitdem eigentlich keine größeren Shows mehr gesehen...

Sven: Auch das Cure-Konzert 1996, außerdem der Secret-Gig von David Bowie in der Großen Freiheit/Hamburg im Sommer diesen Jahres

Janne: -

Dann werde ich mir die drei Philtronen im Dezember mal anschauen, um zu schauen, wer denn mein persönlicher Live-Act des Jahres sein wird... Auf jeden Fall wünsche ich den dreien viel Spaß bei der Tour und bedanke mich für die prompte und ausführliche Beantwortung meiner Fragen!