DIE KRUPPS

Die Crossover-Pioniere sind zurück und zwar druckvoller denn je. Das aktuelle Album "Paradise Now" führt den Weg der Krupps fort und zementiert ihre absolute Ausnahmestellung im Gitarren-Industrial-Bereich. Beim Konzert der Krupps in den Dortmunder Ruhr-Rock-Hallen trafen wir uns mit Kopf, Herz und Stimme der Krupps: Jürgen Engler.

E.: Euer Album "Paradise Now" ist vor wenigen Wochen erschienen: ich finde, daß es erstaunlich hart und metallastig geworden ist. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Jürgen Engler: (lacht) Ich denke nicht, daß es so metallastig geworden ist, da es sehr viel mit Nuancen und Dynamik spielt. In den Strophen ist es oft leiser und man hört die elektronischen Sounds und beim Chorus kommen dann die Brett-Gitarren. Es ist nur besser aufgeteilt: die Keyboards machen den Gitarren platz und umgekehrt. Das Zusammenspiel ist einfach ein bißchen ausgereifter und mehr auf den Punkt gebracht.

E.: Findest Du nicht, daß es aber trotzdem wesentlich roher als die Vorgänger geworden ist?
J.E.: Ja, aber das ist doch schön! Alle Leute haben uns gefragt, ob "IV" denn jetzt richtig kommerziell werden wird. Erstmal heißt es nicht "IV" und kommerziell ist es auch nicht! Wenn ich höre, daß die Leute so etwas erwarten, dann bekommen sie es genau anders herum!

E.: So habe ich das auch gar nicht gemeint. Ich denke nur, daß die "melancholische" Seite, die auf der "III-Odyssey of the Mind" noch eine große Rolle spielte (mit Songs wie "Alive" oder dem Titelstück), zumindest für meine Ohren sehr in den Hintergrund getreten ist. Warum?
J.E.: Das sehe ich auch nicht unbedingt so. Die melancholische Seite taucht nach wie vor in einigen Stücken wie z.B. "Paradise Now" auf. Sicherlich ist dort der Refrain auch aggressiver, aber daß es innerhalb der Songs so variiert, finde ich gerade interessant. Auf der anderen Seite entwickelt man sich natürlich weiter. Ich überlege mir ja nicht, wie sich das einzelne Stück genau anhören soll. Wir fangen so spät wie möglich mit den Aufnahmen für ein Album an, geben uns nur eine bestimmte Zeit vor, in der ein Song fertiggestellt werden soll und was dann dabei herauskommt, ist das neue Album. Bestandsaufnahme also. Danach wird daran nicht mehr rumgeschraubt.

E.: Wie gestaltet sich bei Euch das Songwriting?
J.E.: Normalerweise treffen Lee (Altus) und ich uns bei mir in den Staaten. Manchmal hat er ein paar Riffs oder ich habe irgendwelche Ideen. Ansonsten setze ich mich alleine hin, schreibe die Stücke auf der Gitarre, nehme die Gitarrenriffs auf DAT auf, nehme sie mit ins Studio nach Düsseldorf, sample die Sachen, verknüpfe die einzelnen Samples zu Songs und versehe die dann mit Keyboards und Drums. Die Endproduktion mache ich dann mit dem Chris (Lietz).

E.: Die Arbeit hat sich also durch Deinen Umzug nach Austin, Texas nicht groß verändert?
J.E.: Nein, die Arbeit hat sich irgendwann mal verändert, als Lee in die Band gekommen ist. Vorher habe ich die Songs auf dem Keyboard geschrieben und erst anschließend die Gitarren hinzugefügt. Das gestaltet sich aber schwieriger, weil man keinen Platz mehr für die Gitarren hat, umgekehrt ist es leichter. Deshalb war es auch ein Nebeneinander der beiden Elemente und jetzt - denke ich - haben wir die Fusion geschafft.

E.: Ihr habt mit verschiedenen namenhaften Musikern zusammengearbeitet: Arthur Brown (bei "Fire"), Doro Pesch (bei "Taste Of Taboo") und Julian Beeston (Ex-Nitzer Ebb bei "Rising"). Wie ist es dazu gekommen?
J.E.: Julie ist ein alter Freund von mir und er hat mich gefragt, ob wir einen Remix von dem Song "Hysteria" für seine Band Shining machen wollten. Wenn Chris und ich einen Remix machen, läuft das in der Regel so, daß wir alles bis auf den Gesang rausschneiden und im Prinzip ein neues Stück schreiben. Dieser Song gefiel mir eben sehr gut, und nachdem der Julie seinen Deal mit SPV verloren hatte und das Stück nicht veröffentlicht wurde, hatte ich die Idee, den Song auf unserem Album zu veröffentlichen. Das wird auch unsere nächste Single, zu der wir vorgestern in Berlin den Clip abgedreht haben. Doro ist auch eine alte Freundin von mir, für die wir ebenfalls mal ein paar Remixe gemacht haben, und so kam es zu dieser Zusammenarbeit. Bei unserer letzten USA-Tournee wurden wir angesprochen, ob wir nicht einen Remix von den Original-Bändern von "Fire" machen wollten, doch das klappte aus rechtlichen Gründen nicht. Mir ging die Idee aber nicht aus dem Kopf und Arthur Brown war für mich eben schon immer der Gott des Höllenfeuers, so daß ich mir überlegte, eine völlig neue Version des Songs zu machen - die wollte ich aber wiederum nicht ohne Arthur Brown machen. Ich habe dann herausgefunden , daß Arthur Brown auch in Austin wohnt und über einige Umwege ist dann die Single entstanden.

E.: Der einzige Track auf dem Album, der etwas völlig neues bietet, ist ja "Behind". Wie seid Ihr zu Spoken Words gekommen?
J.E.: Unser Drummer George (Lewis) hält Lesungen in Austin z.B. in Studentenkneipen und schreibt natürlich auch viel. Ein Text hat mir sehr gut gefallen und die Musik haben dann Dieter Moebius von Cluster und Guru Guru beigesteuert.

E.: Zur inhaltlichen Seite des Albums: der Titel lautet "Paradise Now" und ist ja eigentlich formuliert wie ein Befehl. Ist es auch als Befehl oder Forderung gedacht?
J.E.: Nicht als Befehl, eher schon als Forderung. Wenn man sich die amerikanischen Industrial Bands - zu denen ich mich jetzt nicht zähle - anhört, dann singen die immer von Nihilismus und zelebrieren den Weltuntergang. Ich weiß natürlich auch, daß etwas in der Welt da draußen nicht stimmt, aber wir versuchen doch alle das beste daraus zu machen. Ich möchte da nicht alles noch düsterer zeichnen und sagen "Apocalypse Now", das ist in meinen Augen völliger Quatsch. Deshalb ist "Paradise Now" einfach ein Befehl zum Umdenken. "Paradise Now" war auch der Name einer amerikanischen Studentenvereinigung in den USA in den 60ern, der auch Jim Morrison angehörte. Es ging darum, die Gesellschaftsstruktur zu ändern, andere Menschen zu respektieren und anders an die ganze Sache ranzugehen. Und das ist etwas, was wir heute wieder brauchen. Nach 15 Jahren Kohl ist der Zeitpunkt gekommen, wo die Leute sagen sollten "Jetzt reicht's!". Mir reicht es ja sowieso schon lange, aber auch andere sollten merken, daß, wenn sie jetzt nicht aufpassen, es wirklich den Bach runtergeht. Da ich schon so lange in den Staaten lebe, ist es mir jetzt besonders kraß aufgefallen, wieviel Leute heute in Deutschland auf der Straße leben. Es muß wirklich ein Umdenken passieren. Das Problem ist auch, daß es einfach keine Opposition mehr gibt. Ich meine das nicht parteipolitisch, sondern es gibt keine Organisation - wie damals die RAF - die mal richtig Stunk machen. Aber es muß gewaltfrei geschehen! Ich bin ein gewaltfreier Mensch! Bloß es gibt nicht genügend Leute, die gegen den Staat anrennen und ihn in seinen Grundfesten erschüttern. Nach den Studentenunruhen Ende der 60er und der RAF Ende der 70er / Anfang der 80er ist alles irgendwie verwässert.

E.: Muß so ein Umdenken als Revolution stattfinden - als völliger Umsturz?
J.E.: Ja, vielleicht. Wenn man sich überlegt, was die Studentenrevolten damals alles bewirkt haben, dann ist das vielleicht notwendig. Heute gibt es ein paar Grüppchen, die mal eine Demonstration oder einen Friedensmarsch veranstalten; aber es gibt einfach keinen Widerstand auf breiter Front!
E.: Hälst Du denn Politik bzw. Politiker für notwendig?
J.E.: Nein! Ich propagiere immer gerne die "Ordnung ohne Herrschaft".
E.: Staatsloser Sozialismus?
J.E.: Ist doch genial, oder?
E.: Meinst Du denn, daß das jemals funktioniert?
J.E.: Nein, es funktioniert eben nicht, es ist nur eine Utopie! Aber es wäre doch fantastisch, wenn jeder den anderen respektieren würde.
E.: Daß dieser Wunsch aber verbunden ist mit dem Wissen, es niemals verwirklichen zu können, ist doch ernüchternd oder frustierend.
J.E.: Schon, aber der Anfang ist doch dadurch gemacht, daß Du den Menschen etwas zum Nachdenken gibst. Diejenigen, die meine Lyrics über "Ordnung ohne Herrschaft" lesen, werden sich darüber auch Gedanken machen. Das Problem ist, daß wir meistens für die Leute predigen, die es schon wissen. Wir haben ja mehr das Gymnasiasten-Studenten-Publikum und nicht gerade die Schnauzbart-Stadion-Fraktion.

E.: Wolltet Ihr solche Gegensätze auch im Cover umsetzen? Dort sieht man z.B. einen weißen Schwan im Hintergrund und vorne ein Bündel Eisenwolle oder eine Büffelherde und einen madenzerfressener Leder-Handschuh. Sind das Symbole für das zerstörte Paradies?
J.E.: Ja genau. Mir waren diese krassen Widersprüchlichkeiten sehr wichtig: auf der einen Seite die Ausgeburten der Zivilisation und auf der anderen Seite wie es mal war oder wie es sein könnte. Das ist auch genau der Gegensatz aus unserer Musik. Die Texte wettern zwar auch gegen vieles, geben aber auch Hoffnung.

E.: Würde Dich die Arbeit als Politiker nicht interessieren, damit Du etwas für die konkrete Umsetzung Deiner Ideen tun kannst und damit Du vielleicht mehr Leute erreichst als mit Deiner Musik?
J.E.: Ja, aber nicht in Deutschland. Ich habe nicht das Gefühl, daß man hier wirklich etwas bewegen kann. Sonst würde ich es wahrscheinlich machen. Doch hier werden einem so viele Knüppel zwischen die Beine geschmissen. Es ist z.B. auch undenkbar, daß ein Mensch, der erst Anfang 40 ist, den Staat leitet, wie es in den USA der Fall ist.

E.: Würdest Du Dich dafür auch organisieren?
J.E.: (überlegt) Wollt Ihr mitmachen? (alle lachen) Wenn ich das Gefühl hätte, daß ich genügend Menschen erreiche und genügend Leute mitmachen, würde ich das tun. Ich sehe nämlich ganz klar so viele Dinge, die geändert werden müssen. Mir ist natürlich auch bewußt, daß man dabei vieles berücksichtigen muß, wovon ich keine Ahnung habe und was ich mir aneignen müßte.

E.: Du hast aber mehr weltpolitischen als lokalen Anspruch?
J.E.: Ja, auf jeden Fall.

E.: Europaparlament! (alle lachen)
E.: Ihr gehört ja mit zu den Crossover-Pionieren schlechthin: seht Ihr Euch als Wegbereiter für Bands wie Rammstein?
J.E.: Klar, wissen die selber.
E.: Beneidet Ihr die um ihren Chart-Erfolg?
J.E.: Nee, die haben ja nur hier Erfolg. Außerdem ist das nicht fundiert und in zwei Jahren sowieso gegessen. Die haben mich jetzt auch angesprochen, ob ich für sie ihre Texte ins Englische übersetzen könnte, damit sie auch im europäischen Ausland Erfolg haben. Ohne die dicke Promotion und das Feuer-Gedöhns wären die nirgends.

E.: Du wohnst ja in den USA bzw. seid Ihr auch durch die USA getourt. Wie unterscheidet sich die Industrial-Szene dort von der hier in Deutschland und Europa? Haben die Amis ein anderes Verständnis für (alternative) Musik?

J.E.: Hier gibt es ja keine. Jedenfalls nicht im Vergleich zu den Staaten, dort ist die Szene wirklich riesig. Das Verständnis für Musik ist auch einfach ein anderes, was man schon daran sieht, daß Whitney Housten und Marilyn Manson zusammen in den Top 5 sind.

Bei dem anschließenden Konzert konnten wir uns von den Live-Qualitäten der Krupps überzeugen, die vor allem von ihrem energiegeladenen Frontmann profitieren. Aber auch Drummer George Lewis sorgte für Stimmung. Ich kann nur jedem empfehlen sich die Krupps auch einmal live anzusehen. Ich bedanke mich bei Jürgen Engler, der sich so viel Zeit für uns genommen hat, und Jürgen: Sag' uns vor der Weltrevolution Bescheid, wir sind auf jeden Fall dabei!
Interview: Z
Support: R.I.R