BABYLAND

Da ihre Platten hier nicht ganz einfach zu bekommen sind, habe ich die Musik von Babyland erst vor ungefähr anderthalb Jahren kennengelernt, obwohl sie schon viel länger Musik machen. Trotzdem sollte einigen Electro/Industrial-Junkies der Song "Mask", der auch hierzulande so etwas wie ein Clubhit ist, ein Begriff sein. Ich habe dieses Interview per eMail mit Smith geführt und er wird Euch alles Wissenswerte über diese geniale Band erzählen:

Ich glaube, daß Ihr den meisten unserer Leser (noch) kein Begriff sein dürftet. Stellt Euch doch mal bitte kurz vor und erzählt etwas über Eure Bandgeschichte.
*** BABYLAND besteht aus zwei Bandenmitgliedern, einem Handlanger und einem Haufen Gerümpel, mit dem wir Lärm machen. Dan programmiert die Electronics und singt, ich bin für die Percussion zuständig und AArtVark ist unser Fotograf/Buchhalter/Fluchtwagenfahrer. Dan und ich haben uns auf dem Collage kennengelernt und arbeiten seit 1989 als Babyland zusammen. Live-Performances waren die Grundlage, aber mittlerweile haben wir drei Alben und eine Reihe von Singles auf FLIPSIDE - eine von Los Angeles' ältesten und besten Punk-Rock-Institutionen - herausgebracht. Wir sind ein bißchen durch die Vereinigten Staaten getourt (aber nicht mal annähernd genug!) und haben einige Soundtrack-Beiträge geleistet (schaut Euch Greg Araki's "Doom Generation" an!). Zur Zeit arbeiten wir mit gar keinem Label zusammen, obwohl wir eine Menge an neuem Material haben, das wir in diesem Jahr aufnehmen wollen. Es sieht so aus, als würden wir selbst das Album #4 (Titel? Wer weiß, irgendwelche Vorschläge?) veröffentlichen.

Ich finde, daß man Eure Musik schwer einordnen kann - wie würdet Ihr sie selbst beschreiben?
*** Bei BABYLAND geht es um den Gebrauch elektronischer und perkussiver Geräte, um das Unbekannte zu erforschen; unsere eigene emotionale Evolution und reine Form. Der Begriff Stil bietet einfach viel zu viel Angriffsfläche für Interpretation, so daß wir nicht daran interessiert sind, irgendwen davon zu überzeugen, welchen Stil wir haben. Nennt es, wie immer Ihr es nennen wollt; wir hoffen nur, daß sich unsere Musik in fünfzig Jahren immer noch gut anhört. Wir versuchen Musik zu machen, die uns überrascht. Wir versuchen Ideen zu sammeln, die ohne unseren ungewöhnlichen Arrangements vielleicht harmlos wären, und sie dann mit einem Höchstmaß an Energie zu verfeuern, um Leben inmitten des Chaos zu finden. Wir versuchen Musik zu machen, die nicht so sehr eine universale Wahrheit sondern vielmehr ein echtes Gefühl zu einem ganz speziellen Zeitpunkt ausdrückt. Wir versuchen Musik zu machen, bei der sowohl die Entstehung als auch das Hören Spaß macht, die aber trotzdem ernst genug ist, um irgendeine emotionale Reaktion hervorzurufen.

In meinen Augen bezieht Eure Musik ihre Kraft aus den ekstatischen Rhythmen, dem rohen Gesang und den abgedrehten Melodien. Würdet Ihr diese Elemente auch als die wichtigsten bezeichnen?
*** Was gibt es sonst noch in unserer Musik? Rhythmus, Melodie, Texte... I glaube, ich weiß etwas, das Du vergessen hast: SPIRIT. Musik ohne Spirit ist wie Bier ohne Alkohol. Wir ziehen uns immer gegenseitig damit auf, daß im Endeffekt eh niemand den Unterschied hören würde, aber wir glauben fest daran, daß es nicht so sehr darauf ankommt, WELCHE Musik man macht, sondern WIE man sie macht. Aus technischer Sicht ist es sowieso nur ein Haufen Lärm. Aber wir versuchen wirklich dadurch zu kommunizieren. Es ist unser Bemühen und unsere Ehrlichkeit, die uns zu dem macht, was wir sind. Wenn wir einen Song aufnehmen oder live spielen und das Gefühl stimmt einfach nicht, ist der Unterschied so offensichtlich... Die Geräte sind nur Hilfsmittel. Idealerweise sollte die Musik etwas im Hörer auslösen oder bewegen, von dem er selbst nicht sagen kann, wie es geschieht.

Ich denke, daß sowohl Eure Musik als auch Eure Texte typisch "Post-Punk" sind. Stimmt das auf irgendeine Weise?
*** Ich hatte eigentlich gehofft, daß nichts an BABYLAND irgendwie typisch ist, aber das liegt wohl - wie immer - im Auge des Betrachters. Meine Frage ist nur, was Du mit "Post-Punk" meinst. Das Beste an Punk ist das Ideal, daß man alle fremden Normen ablehnt und eigene Antworten findet. Dann stellt sich bloß die Frage, was übrigbleibt, wenn man alles abgelehnt hat. Bei BABYLAND geht es mit Sicherheit darum, eigene kreative Lösungen zu finden ... auch wenn sie manchmal sehr destruktiv anmuten. Ich glaube, daß Punk eine Art ist, mit aller Kraft, Begeisterung und einem instinktiven Drang sich von der Herde loszulösen, die Teil Deiner Jugend ist; und das möchte ich nicht missen. Unter jungen Menschen wird es immer einige geben, die versuchen, sich über alle Regeln und Rituale der Gesellschaft hinwegzusetzen, weil sie darüber nur lachen können. Vielleicht sind sie die Außenseiter, die Querköpfe, die Träumer oder sind einfach nur abgedreht. Wie immer man sie auch nennen mag, würden wir gerne denken, daß BABYLAND immer ihnen kommunizieren können wird.

Empfindet Ihr Euch als Industrial-Band? Habt Ihr mit der Industrial-Szene in den USA viel zu tun?
*** Wie bei vielen Stilrichtung, habe ich auch bei der "Industrial-Szene" den Eindruck, als würde sie vom Gewicht der eigenen Erwartungen erdrückt. Der Keim der Intelligenz, der hinter Industrial steht, ist interessant, aber nicht unbedingt das, was uns wichtig ist. Es gab eine Menge Müll, der unter diesem Banner veröffentlicht wurde, und wir sind nicht groß beeindruckt von der Philosophie, die mit diesem Begriff verbunden wird. Also beteiligen wir uns zumindest nicht an der US-Industrial-Szene.

Gibt es deutsche bzw. europäische Bands, deren Musik Ihr mögt?
*** Nein. Alle europäischen Bands, speziell die deutschen, sind absoluter Müll in seiner reinsten und entwürdigendsten Form. Neee, nicht wirklich, das meiste von dem, was ich höre, kommt aus Europa (Was ist überhaupt mit Leder Nacken passiert?). Außerdem bin ich ein großer Fan europäischer Filme.

Wird man in nächster Zeit neues Material von Euch erwarten können? Wie kann man bei uns in Deutschland am besten an Eure CDs herankommen, da Ihr ja - soweit ich weiß - keinen europäischen Vertrieb habt?
*** BABYLAND hat so viel neues Material, was nur noch aufgenommen werden muß, daß es fast schon weh tut. Wir haben fast schon Angst, daß, wenn wir es nicht bald veröffentlichen, wir etwas vergessen und für immer verlieren; aber das ist fast unwichtig, weil wir so viele Ideen entwickeln, daß wir für den Rest unseres natürlichen (oder un-natürlichen) Lebens im Studio bleiben könnten ohne mit den Aufnahmen fertig zu werden. Trotzdem ist es etwas traurig, weil wir GAR KEINE Unterstützung von der Musikindustrie bekommen, und so müssen wir wohl alles auf eigene Faust raushauen, was zwar OK ist aber halt seine Zeit dauert. Also erwartet nichts von uns in ganz naher Zukunft, aber gebt uns auch nicht auf! Was die veröffentlichten Sachen angeht, ist Mailorder sicherlich die beste Möglichkeit. Nervt die Leute einfach. Der Vertrieb ist der Knackpunkt, der den Indie-Sektor erstickt, und solange das "World Wide (gähn) Web" noch nicht wirklich auf den Beinen ist wird es schwer bleiben...

Wie wird das neue Material klingen?
*** Niemand außer uns wird wohl jemals einen Unterschied ausmachen, aber für uns klingt das neue Material wirklich anders. Wir dekonstruieren ernsthaft das, was wir tun, und nach den üblen Erfahrungen der letzten zwei Jahre, haben wir keine Probleme mehr mit irgendwas. Alles, was sich bewegt, ist eine potentielle Zielscheibe, alles, was Geräusche macht, ist ein potentielles Instrument. Wir haben viel Zeit darauf verwendet, Kopfstand zu machen, damit die Scheiße wieder zurück in unsere Körper fließt, so daß wir das Ganze noch mal herausscheißen können, dieses Mal nur anders. Electronics und Percussion bleiben die wesentlichen Elemente, aber wir werden z.B. nicht mehr so viel samplen. Wir versuchen uns mehr mit Komposition und Arrangement zu befassen und sind außerdem offen für alles, bei dem wir das Gefühl haben, es sei richtig.

Ich habe mir auf der "Who's sorry now?"-CD einige Bilder von Babyland Live-Auftritten angucken können. Mit welchen visuellen Effekten arbeitet Ihr bei Euren Performances und in welcher Weise unterstützen sie die akustischen Effekte?
*** Live-Shows sind unsere Grundlage. Es gibt keine Effekte, nur Handlung. Wir nehmen die Electronics mit uns auf die Bühne und alle Sequenzen werden auf den Keyboards live gespielt. Um die lauten Metal-Percussions zu kompensieren, haben wir unsere eigenen Boxen und Verstärker, um die Ausrüstung des Veranstalters zu vervollständigen. Wir treten sehr gerne auf und jede Show ist anders. Manchmal ist es scheiße und wir gehen sauer nach Hause. Aber meistens macht es richtig Spaß. Manchmal paßt auch einfach alles und dann drehen wir voll auf. Das ist echte Kommunikation. Wenn es gut läuft, verliert die Zeit jegliche Bedeutung, jeder versteht alles und der Schweiß läuft literweise aus unseren Achselhöhlen: dann kann alles passieren. All that matters is that there's a bunch of people who want to hear good music, a room that will allow us to play, and enough power to keep the amps pumping...

Werden wir jemals die Chance haben, Euch live in Europa zu sehen? Ich befürchte, daß das wohl ein Traum bleibt...
*** Wir lieben nichts mehr, als an neuen Orten aufzutreten, aber wieder einmal fehlt uns die Unterstützung. Europa wäre sicher eine tolle Sache, da sind wir sicher, man müßte halt nur die ganzen Instrumente herüberschaffen und eine passable Tour gebucht bekommen. Wir weigern uns, von irgendwem abgezockt zu werden, und es wäre niederschmetternd, nur herübergekommen zu sein, um festzustellen, daß man ein paar einfach nur lahme Gigs gespielt hat. Aber wie dem auch sei, das alles wird warten müssen, bis wir wenigstens die nächsten zwei Alben eingespielt haben; denn wenn wir das, was wir haben, nicht jetzt aufnehmen, werden wir es wohl nie tun.

Habt Ihr die Verhandlungen beim Umweltgipfel in Kyoto, Japan verfolgt? Denkt Ihr, daß solche Verhandlungen sinnvoll sind, und was haltet Ihr von der Umweltpolitik der USA?
*** Für mich hört sich das alles verdächtig nach "zu wenig, zu spät" an. Ich sehe auch keinen Fortschritt, der erzielt werden könnte. Aber bei dem Grad an weltweitem Widerstand gegen die Umweltbewegung, schätze ich, daß das alles ist, was wir zur Zeit tun können. Jeder wird eine Menge Opfer bringen müssen, bevor ein Wechsel erfolgt, aber ich glaube nicht, daß viele von uns zuhören. Wie werden wir entscheiden, wer was aufzugeben hat? Ist einen Entscheidung gefallen, wie werden wir sie durchsetzen können? Es wird noch viel übler werden, bevor es wieder aufwärts geht.

Haltet Ihr Politik bzw. Politiker überhaupt für notwendig? Was wären für Euch Alternativen?
*** Politik ist unumgänglich. Sie bietet außerdem viel Raum für die Vorstellungen und Improvisation sensibler und intelligenter Gedanken. BABYLAND selbst macht eigentlich keine politischen Aussagen, abgesehen von der Unterstützung der Freiheit des Individuums, aber ich persönlich sehe grundsätzlich drei Möglichkeiten für den Planeten Erde:
1) So weitermachen wie bisher. Ich schätze, daß in diesem Fall in den nächsten 500 Jahren alles zerstört und jeder getötet sein wird. So wie die Dinge stehen, ist ein weiterer globaler Krieg der mathematische Beweis dafür. Im Endeffekt werden Umweltverschmutzung, ausgebeutete Ressourcen, eine gut bewaffnete und völlig technologieabhängige Zivilisation und religiöser Fanatismus uns das Genick brechen. Jahr um Jahr steigen wir auf diesem Pfad weiter ab und es wird immer schwerer ihn jemals zu verlassen. Aber wenn Du die Zukunft eh haßt und nicht planst, irgendwelche Nachkommen zu haben, dann ist dies die Möglichkeit für Dich.
2) Ein Gleichgewicht zwischen Umwelt und Zivilisation in jeder Hinsicht herstellen. Ein Scheitern daran wird dieselben Folgen wie Option #1 haben, es wird nur länger dauern. Abgesehen vom Sonnenlicht, ist die Erde ein recht abgeschlossenes System, und wir müssen mit dem leben, was wir haben. Also müßten wir auf fossile Brennstoffe und Atomenergie verzichten und jeder müßte wohl lernen, seine eigene Nahrung anzubauen. Eine massive weltweite Populationskontrolle wird notwendig sein und so etwas dürfte die größte Friedensbedrohung sein. Sollte aber alles hinhauen, werden unsere Nachkommen alle glücklich zusammen leben in ewiger Abhängigkeit von den Naturgewalten.
3) Leave the rock! Das einzige, was das geschlossene System aufknacken kann, ist eine beschleunigte Erforschung des Weltraums. Unsere technologische Gesellschaft kann nicht erwarten, lange mit der Ausbeutung der Ressourcen zu überleben, aber sie kann weiter in den Weltraum vordringen. Auf Near Earth Objects (NEOs) wie z.B. Asteroiden, die unsere Umlaufbahn kreuzen, könnte man Rohstoffe zu unserem Nutzen abbauen und das unbeschränkte Sonnenlicht könnte die Energiequelle für alle Städte der Erde sein. Die Möglichkeiten sind zahllos. Science Fiction, vielleicht - aber warum soll man es nicht versuchen? Wir können uns doch nicht einmal vorstellen, welche technologischen Möglichkeiten unsere Urenkel haben werden. Unsere Erde ist einzigartiges Juwel in unserem Sonnensystem, auf das wir gut aufpassen müssen. Weite Teile der Erde, wenn nicht fast alles, muß so schnell wie möglich der menschlichen Ausbeutung entzogen werden und wir werden uns - ob wir nun weiter in den Weltraum vordringen oder nicht - vielen Problemen aus Option #1 und 2 stellen müssen, aber es ist in meinen Augen die einzige wirkliche Alternative. Davon ab ist der Weltraum die große Herausforderung, die alle Menschen in ihrer Hoffnung und Verwunderung verbindet. In space we are all strangers...
Das ist in jedem Fall das, was ich denke. Nur meine Meinung

Möchtest Du sonst noch etwas loswerden?
*** Beschäftigt Euch mal mit dem Thema Near Earth Objects! NEOs existieren und sind sowohl eine Bedrohung aber auch eine Chance für die Zukunft. Wenn eins von diesen Dingern bei uns aufschlägt, wird nicht mal mehr Micheal Jackson in der Lage sein, eine einzige Platte zu verkaufen! (Seht Ihr, was ich meine: aufregend!)


Zumindest keine uninteressante Alternative... Ich möchte mich bei Smith für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen bedanken und bei Aartvark, der nach allen Wirren dieses Interview doch noch möglich gemacht hat. Allen Electro/Industrial-Freunden kann ich nur wärmstens empfehlen, sich diese Band einmal anzuhören. Es ist in meinen Augen wirklich ein Wunder, daß sich zumindest die Indie-Labels nicht die Finger nach dieser Ausnahmeband lecken.
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